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Kunst bedeutet für mich die Übersetzung von existenziellen Themen. - Elisabeth Scharang im Interview
Elisabeth Scharang lebt und arbeitet als Regisseurin, Drehbuchautorin, Journalistin und Radiomoderatorin in Wien. Sie ist Autodidaktin in ihrem Beruf, moderiert seit 1989 im ORF Radio für FM4 und Ö1 Gesprächsformate, konzipierte und gestaltete über zwanzig TV-Dokumentationen und arbeitet seit 2001 als freie Spiel- und Dokumentarfilmregisseurin vorwiegend für Kinoproduktionen. Elisabeth Scharang ist filmpolitisch bei FC Gloria und im Kollektiv die Regisseur*innen aktiv und unterstützt als Mentorin Frauen im Bereich Filmregie und Drehbuch.
In Wald geht die Protagonistin Marian zurück von der Stadt aufs Land in den Wald, um den traumatischen Erlebnissen eines Terroranschlags zu entfliehen. Du bist in Bruck an der Mur geboren. Was verbindet dich mit dem Wald?
Ich bin in der Steiermark geboren, aber in Wien aufgewachsen. Im 10. Bezirk in einer Siedlung, die Anfang der 70er-Jahre hochgezogen wurde und in der bald mehr Menschen wohnten als in St. Pölten. Der Wald ist für mich als Kind Projektionsfläche für alle Geschichten gewesen, die ich mir ausgedacht habe. Dort konnte alles stattfinden. Erst als erwachsener Mensch hat der Wald für mich die Kraft der Natur entwickelt. Ein Ort, der mich aufnimmt und ich alles draußen lasse, was mich gerade belastet, wenn ich in diesen Naturraum eintrete.
Der Film ist von dem Bestseller Wald von Doris Knecht inspiriert, in dem Menschen aufgrund einer Krise eine 180 Grad-Wendung hinlegen und plötzlich ein völlig anderes Leben führen. Wie bewältigst du persönlich Krisen?
Ich suche eine Möglichkeit, meine Krisen zu gestalten, nicht zu „freezen“ und damit in eine emotionale Starre zu verfallen. Gestalten ist nicht immer ein aktiver Prozess des Tuns, manchmal ist es ein wachsames Wahrnehmen, was da gerade mit mir passiert. Manchmal schreibe ich auf, was mir passiert ist, um für mich selbst anzuerkennen, dass mir etwas passiert ist. So war es bei Wald.
Als Filmemacherin bist du mit deiner Arbeit und deinen Werken ein großes Vorbild für junge Frauen. Welche Ratschläge möchtest du jungen Filmemacher:innen mitgeben?
Folge deinen offenen Fragen und glaube nicht, dass dein Beruf darin besteht, alles zu wissen.
Du kommst ursprünglich aus dem Journalismus und hast lange in dem Bereich gearbeitet. Welche Gemeinsamkeiten, Vorteile und Nachteile siehst Du in der Arbeit im Journalismus und im Filmschaffen?
Ich habe mit 18 begonnen, beim Radio zu arbeiten, und mache das bis heute mit Sendungen bei FM4 und Ö1. Das sind Formate, die ich selbst entwickle, weil ich immer wieder etwas Neues ausprobiere. Über die Jahre habe ich gelernt, dass ich ein großes Repertoire an Formen brauche, wenn es darum geht, eine Geschichte zu erzählen. Manchmal ist es ein Radiogespräch im Studio, manchmal ist es ein Dokumentarfilm, manchmal ein fiktionales Drehbuch oder eine Live-Radiosendung, mit der ich die Geschichte einer Person oder einen Zustand, der mich interessiert, umkreise und beschreibe und schließlich in meiner eigenen Form für die Leinwand, den Bildschirm oder den Kopfhörer übersetze. Ich habe also gelernt, Drehbücher zu schreiben, Kamera zu machen, Regie zu führen, zu wissen, welche Mikrofone ich verwende, wenn ich mit Menschen in der Fabrik rede. Und alle diese Tools bereichern einander gegenseitig. Ich weiß, wie man recherchiert, Fakten checkt, sich kontroversen Inhalten nähert und wie man dabei die Brücke zum Publikum schlägt. Ich weiß also, wie die Berichterstatter:innen arbeiten und kann je nach Situation die Seite wechseln – einmal hinter und einmal vor der Kamera. Ich wachse mit dieser Vielfalt an Formen, die ich in der Hand habe und es verschafft mir eine unglaubliche Spielfreude; egal in welchem Format und in welchem Medium.
Wenn man sich deine bisherigen Werke durchsieht, entsteht der Eindruck, dass du dich ausschließlich schweren und tiefgreifenden Themen widmest. Wie bereits erwähnt Terroranschläge, die NS-Zeit, Briefbomben, Frauenmördern, Missbrauch, aber auch (kapitalistischer) Gesellschaftskritik. Wie ist es, sich ständig solchen Themen auszusetzen? Und warum ist dir das ein Anliegen?
Schwer wird etwas, wenn es dich erdrückt, dich unter sich begräbt. Aber wenn ich beginne, mich mit einem Thema für einen neuen Film zu beschäftigen, dann habe ich in erster Linie offene Fragen. Da ist Bewegung und nicht Stillstand und Wortlosigkeit. Kunst bedeutet für mich die Übersetzung von existenziellen Themen, die uns durch unser ganzes Leben begleiten. Angst, Verlust, Gier, Einsamkeit, Freude, Freundschaft. Ich mache Film, um die Welt, in der ich lebe, besser zu verstehen. Kein Leben ohne Tod. Kein Lachen ohne Stille.
Und Anschlussfrage: Welchen Themen möchtest du dich zukünftig widmen?
Schon während meiner Vorbereitungszeit für Wald habe ich mit den Recherchen für einen Dokumentarfilm begonnen, der mich nun seit über vier Jahren begleitet. Ich stelle die Frage #HowToStopFemicide? Am Anfang stand ich fassungslos vor der Tatsache, dass in Österreich, in einem der reichsten Länder der Welt, mehr Frauen als Männer ermordet werden. Ich habe mit meiner Kollegin Kristin Gruber und einem kleinen Team eine globale Recherche begonnen, die uns letztlich in 12 Länder und auf vier Kontinente geführt hat. Wir sammeln für diesen Film nicht das Grauen und die Zerstörung, die genderbased violence hinterlassen; wir sammeln Wissen, Erfahrung, Schmerz, Wut und die Gewissheit, dass es gelingen wird, den systematischen Mord an Frauen* zu beenden. Die Aktivist:innen, Überlebenden, Journalist:innen, Richter:innen, Polizist:innen, die für diesen Film mit uns sprechen, verändern patriarchale Strukturen. Femizide zu beenden, das Morden von Frauen*, weil sie Frauen* sind, zu beenden, das wird die größte Revolution in der Menschheitsgeschichte.